Finanziert von den einschlägigen Umweltschutzorganisationen wird eine neue Runde der Polemisierung gegen die Wintersportprojekte an Wurmberg und Winterberg eingeläutet. Die Volksstimme berichtet:
"Diese Schneelüge gibt's überall auf der Welt"
Kritik an den Planungen für die Wintersportprojekte auf dem Wurm- und dem Winterberg äußert Carmen de Jong. Die Wissenschaftlerin gilt als Expertin für Skitourismus und ausgewiesene Kritikerin von Kunstschneeproduktion in den Gebirgen.
Wernigerode/Braunlage l Kann Kunstschnee den geplanten Skigebieten von Braunlage und Schierke dazu verhelfen, dieses Tourismusangebot wirtschaftlich zu betreiben?
Die Expertin redet im Volksstimme-Gespräch nicht lang um den heißen Brei herum, Carmen de Jong sagt: "Es ist ein Alptraum für uns Wissenschaftler, dass hier im Harz ein alpines Winterangebot erzwungen werden soll." De Jong, Professorin für Geographie, gilt weltweit als Expertin für Skitourismus und leidenschaftliche Kritikerin von Kunstschnee. Das hat sie bereits ihre Stelle als Wissenschaftliche Leiterin des Hochgebirgs-Instituts an der französischen Universität von Savoyen gekostet.
Sie warnt angesichts des Klimawandels vor den ökologischen wie ökonomischen Folgen der ständig wachsenden Kunstschneeproduktion. In den Alpen habe sich von 2005 bis 2011 die mit Kunstschnee bedeckte Fläche verdoppelt, der extreme Wasserbedarf dafür sorge bereits für Wassermangel in einigen Alpentälern, haben ihre Forschungen gezeigt.
Eingeladen von Christian Reinboth (Wernigerode) und Friedhart Knolle (Goslar) hat sich de Jong drei Tage lang in Braunlage und Schierke mit den Wintersportprojekten vertraut gemacht. Der Harz weise im Winter Temperaturen von 7Grad über dem Mittel der Alpen auf, dazu die geringe Gebirgshöhe und relativ hohe Luftfeuchte, das stelle besondere klimatische Herausforderungen an die Kunstschneeproduktion dar. Ihrer Einschätzung nach koste der Unterhalt des erweiterten Wurmberg-Skigebietes pro Saison rund eine Million Euro. Ob dieser Aufwand allein über Skipass-Verkäufe refinanziert werden könne - bei weiter steigenden Strom- und Wasserkosten - sei mehr als fraglich.
Genauso gibt Carmen de Jong zu bedenken, dass der Klimawandel unmittelbare Auswirkungen auf das Minimum an sogenannten Schneetagen habe. 120, mindestens aber 100Tage müsse das alpine Wintersportangebot nutzbar sein, um es wirtschaftlich betreiben zu können. Der Blick ins Sauerland zeige, dort sei mit Hilfe von Schneekanonen die Zahl der Schneetage von zuvor60 auf maximal 80Tage erhöht worden. De Jong: "Das ist noch deutlich von den wirtschaftlich notwendigen 100Tagen entfernt."
Auch im Harz, so ihre Einschätzung, werden Speicherbecken und die Wasserentnahme aus der Bode langfristige negative Folgen haben: "Alpiner Wintersport hat im Harz keine Zukunft. Er ist auch keine Ergänzung, sondern wird langfristig den Sommertourismus vernichten."
Der Schweizer Ort Davos erziele 60Prozent seiner Tourismuseinnahmen im Winterhalbjahr, ihrer Einschätzung nach werde sich das Sommer-Winterverhältnis auf 50zu50 verändern. De Jong: "Der Sommertourismus gibt nicht soviel Profit, dafür sind auch weniger hohe Investitionen als für den Winter notwendig."
Apropos Investitionen: Rund 16Millionen Euro sollen am Wurmberg, mindestens 30Millionen Euro in die Schierker Projekte investiert werden - ein enormer Druck auf die Wintersport-Industrie, ist sich die Wissenschaftlerin sicher. Ob auch dann wegen zu geringen Wasserpegels in der Bode auf den Betrieb von Schneekanonen verzichtet werde, wenn bis zu 10000Skifahrer an einem Tag "vor den Pisten stehen"? Nicht nur de Jong plagen in dieser Frage Zweifel, auch Christian Reinboth fürchtet, dass wirtschaftliche Interessen gegenüber ökologischen Belangen obsiegen werden.
Im Harz hat die Tourismusexpertin mehrfach gehört, Hotel-Investoren würden ihr Engagement in Schierke von Wintersportangeboten abhängig machen. Carmen de Jong: "Diese Schneelüge gibt es überall auf der Welt."
© Volksstimme 30. Juli 2012
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http://www.volksstimme.de/nachrichten/lokal/wernigerode/903737_Diese-Schneeluege-gibts-ueberall-auf-der-Welt.html Prominente Gegner von Kunstschneeerzeugung zu Wort kommen zu lassen ist Teil der sachlichen Diskussion und Auseinandersetzung rund um die Wintersportprojekte an Wurmberg und Winterberg.
In den Alpen habe sich von 2005 bis 2011 die mit Kunstschnee bedeckte Fläche verdoppelt ...
In den Alpen hat - z.B. in Österreich - die Kunstschneeerzeugung auch für mich z.T. das Maß der Dinge verloren. Bevor ich als Skifahrer an Schneiteichen auf 2.200 Metern Höhe oder an ganzen Schneilanzenwäldern vorbeifahren muss, zerkratze ich mir lieber den Belag oder fahre gar nicht. Das mahnt, bei neuen Beschneiungsprojekten zielgenau und verantwortungsbewusst umzugehen.
... der extreme Wasserbedarf dafür sorge bereits für Wassermangel in einigen Alpentälern, haben ihre Forschungen gezeigt.
In inneralpinen Lagen gibt es in der Tat niederschlagsarme Regionen, in denen Beschneiung zu Wassermangel in Fließgewässern führt, kein Zweifel. Beispiel: Schweizer Saastal mit ca. 600mm pro Jahr, Dolomiten (ohne dass mir hierzu exakte Messwerte vorliegen). Hier darf man aber nicht Äpfel mit Birnen vergleichen:
Im Harz als Niederschlagsfänger besteht ein solches Risiko wohl kaum. Die Kalte und die Warme Bode, aus denen Wasser für Beschneiung entnommen werden soll, entspringen in den immerfeuchten Moorgebieten zwischen Achtermann, Brocken und Wurmberg mit Jahresniederschlagsmengen um 1400 mm pro Jahr. Also: Leider daneben gegriffen.
120, mindestens aber 100Tage müsse das alpine Wintersportangebot nutzbar sein, um es wirtschaftlich betreiben zu können. Der Blick ins Sauerland zeige, dort sei mit Hilfe von Schneekanonen die Zahl der Schneetage von zuvor60 auf maximal 80Tage erhöht worden. De Jong: "Das ist noch deutlich von den wirtschaftlich notwendigen 100Tagen entfernt."
Wirtschaftlichkeit von Beschneiung darf man nicht an einer absoluten Betriebstagezahl festmachen. Entscheidend ist letztlich die Summe der Einnahmen für den jeweiligen Wirtschaftsraum - nicht nur aus Skipassverkauf, sondern auch aus Übernachtungen, Gastronomie, sonstiger Dienstleistung und Einzelhandel. Hier ausgerechnet das Sauerland anzuführen, wo der Ausbau der wintersportlichen Infrastruktur zu einem touristischen Boom über die Erwartungen hinaus geführt hat, zeugt schlicht von mangelnder Vorbereitung. Also: Leider daneben gegriffen.
Der Schweizer Ort Davos erziele 60Prozent seiner Tourismuseinnahmen im Winterhalbjahr, ihrer Einschätzung nach werde sich das Sommer-Winterverhältnis auf 50zu50 verändern. De Jong: "Der Sommertourismus gibt nicht soviel Profit, dafür sind auch weniger hohe Investitionen als für den Winter notwendig."
Davos ist kein normaler Wintersportort, sondern mit seinen 11.500 Einwohnern die höchstgelegene Stadt Europas. Davos verfügt im Gegensatz zu "normalen" Wintersportorten über das Standbein des ganzjährigen Konferenztourismus (Beispiel Weltwirtschaftsforum), der in der höchstpreisigen Kategorie spielt und zusätzlich zum Erholungstourismus Geld in die Kassen spült. Aus diesem Grund leistet sich Davos schon seit ca. 10 Jahren zum Ärger der Skisportler, trotz idealer Voraussetzungen sein Wintersportangebot nachrangig zu behandeln. Insofern ist Davos, das zudem gerade verspätet beginnt, an Parsenn und Jakobshorn die Beschneiung massiv auszubauen, ein ungeeigneter Vergleich. Einen Vergleich zu Harzer Wintersportorten sollte man aus dem Mittelgebirgsbereich wählen. Und da sind wir dann wieder bei der Frage, ob jemand auch nur einen einzigen Mittelgebirgs-Wintersportort nennen kann, bei dem Investitionen in Ski-Infrastruktur und Beschneiung negative wirtschaftliche Folgen hatten. Also: Leider daneben gegriffen.
[Edit:] Pistenplan Davos/Klosters von 2011
hier. Man sieht, dass bereits erfolgreich daran gearbeitet wurde, alle Hauptabfahrten zu beschneien. Weitere Beschneiungsvorhaben sind in Vorbereitung, außerdem der Ersatz veralteter Liftanlagen in den Gebieten Parsenn, Klosters/Madrisa und Rinerhorn (Quelle:
www.alpinforum..com). Nach einem geplanten Zurückfahren des Wintertourismus sieht das nun wirklich nicht aus. Mir ist rätselhaft, warum selbiges von Frau De Jong behauptet wird.
[...] Nicht nur de Jong plagen in dieser Frage Zweifel, auch Christian Reinboth fürchtet, dass wirtschaftliche Interessen gegenüber ökologischen Belangen obsiegen werden.
Beide Interessen stehen bei allen Infrastrukturellen Investitionsentscheidungen im Dauerkonflikt. Im Harz ist es halt neu, dass erstmals seit den 1970er Jahren im touristischen Bereich wieder wirtschaftliche Interessen durchgesetzt werden sollen. Diese Veränderung zu verstehen, fällt so manchem schwer. Dabei werden ökologische Belange am Wurmberg und Winterberg im Gegensatz zu den 1970er Jahren massiv berücksichtigt.
[...] Hotel-Investoren würden ihr Engagement in Schierke von Wintersportangeboten abhängig machen. Carmen de Jong: "Diese Schneelüge gibt es überall auf der Welt."
Dumm nur, wenn sich die angebliche "Lüge" auch noch mit Zahlen klar bestätigen lässt - Beispiel: Investitionen im Sauerland. Also: Leider daneben gegriffen. -
Fazit: Experten jeglicher Couleur in die Diskussion rund um die Harzer Wintersportprojekte einzuschalten, begrüße ich ausdrücklich. Wer hier durch selektive Übernahme punktueller, sachlich ungeeigneter Statements lediglich erneut zu polarisieren und zu polemisieren versucht, weil eigene Argumente fehlen, wird sich damit das nächste Eigentor in Sachen öffentliche Akzeptanz schießen.